Warum eigentlich Fotojournalismus?

Mit der Reproduzierbarkeit von Bildern zu Beginn des 19. Jahrhunderts und der Erfindung des Rollfilms erlangte auch der Fotojournalismus zunehmend an Bedeutung. Wo vorher schweres Gerät aufgefahren werden musste, war nun eine mobile und flexible Bildberichterstattung möglich. Eine feste Instanz wurde der Fotojournalismus spätestens durch die Reise- & Kriegsfotografie. Der Fotojournalismus löste langfristig den Holzstich sowie den Pressezeichner ab und wurde ab 1920 letztendlich zum viel genutzten Medium in der Tagespresse unter dem Argument der Authentizität. Die Entwicklung von Kleinbildkameras wie zum Beispiel der Leica 1 oder Kodak Nr. 1 trugen maßgeblich dazu bei. Seit jeher ist der Fotojournalismus fester Bestandteil in der Berichterstattung über Themen wie beispielsweise Politik, Kultur oder Sport.

Historisch betrachtet entwickelte sich der Fotojournalismus von Anfang an jedoch in eine fragwürdige Richtung. Während des Ersten und Zweiten Weltkrieges nahm er an Fahrt auf und wurde gleichzeitig zur Propaganda und Zensur missbraucht. Darüber hinaus lag von Anfang an ein großer Fokus darauf, Personen und Ereignisse möglichst vorteilhaft darzustellen. Eine bewusste Darstellung der Realität stand nicht im Zentrum. Mit der Zeit änderte sich das allerdings und der Fotojournalismus wurde auch Grundlage für unser Verständnis dessen, was wirklich in der Welt vor sich geht.

So besitzt er ganz klar seine Schattenseiten und wird zu recht kritisch betrachtet. Immer wieder wird dem Berufsfeld Voyeurismus, Einseitigkeit und eine Ästhetisierung von Gewalt vorgeworfen, die auf Schockfotos beruht. Auch hier ist die Kritik nicht an den Haaren herbeigezogen, da es in der Vergangenheit bereits genug grenzwertige Veröffentlichungen gab, wie zum Beispiel das Foto des ertrunken syrischen Jungen Alan Kurdi im Jahr 2015. Dieses Foto hat sich so sehr in das kollektive Gedächtnis eingebrannt, das wir es alle vermutlich kennen oder zumindest schon mal davon gehört haben. Aus diesem Grund ist das Foto ein gutes Beispiel, um Bezug auf einen vorherigen Blogeintrag zum Thema Ethik in der Fotografie zu nehmen und noch mal die unbeantworteten Fragen zu stellen:

„Wie schaffe ich es, den Augenblick würdevoll zu fotografieren
und eventuell auch Zeitgeschichte zu dokumentieren, ohne eine gewisse Grenze zu überschreiten?
Wo liegt diese Grenze?
Ist es okay, dass ich überhaupt hier bin?
Bin ich ein Voyeur?“


Aus der Dunkelheit ins Licht 

Mit Blick auf die Geschichte von Alan Kurdi wird an dieser Stelle auch die andere Seite des Fotojournalismus deutlich. Er kann als Zeitzeuge dienen und Zeitgeschichte festhalten, den schwachen und unterdrückten eine Stimme geben, auf Unrecht und Missstände aufmerksam machen und somit Empathie und Verständnis schaffen. Bilder von Fotografen schaffen es sogar, Menschen und Regierungen zum Handeln aufzufordern und sich für Verbrechen an die Menschheit zu bekennen. So gab es im letzten Jahrhundert auch immer wieder wertvolle Beiträge, wie beispielsweise die Arbeiten von Dorothea Lange, Robert Capa, Sebastiao Salgado, Henri Cartier-Bresson, James Nachtwey oder Margaret Bourke-White, um nur einige zu nennen. In der Regel haben Konflikt-Parteien kein Interesse an einer ungefilterten Berichterstattung, was eine klare Einschränkung bedeutet. Wenn wir im Hinterkopf behalten, dass Geschichte meistens von den Siegern geschrieben wurde, ist es wiederum unerlässlich, auf journalistischer Ebene zur Wahrheitsfindung und zeitgeschichtlichen Dokumentation beizutragen.

Besonders wichtig wird dieser Einsatz gerade in Ländern, in denen Meinungsfreiheit und Menschenrechte systematisch untergraben werden. Journalisten sind eben der Wahrheitsfindung, einer gerechten und fairen Berichterstattung sowie zur Objektivität verpflichtet und haben auch schwierigen Meinungen gegenüber, respektvoll und tolerant zu sein. Wenn wir nach der Ethikvereinbarung für Journalisten gehen, steht demnach das Wohl der Öffentlichkeit über allem anderen! Diese Grundlage führt automatisch dazu, sich immer wieder selber die Frage stellen zu müssen, welche Praktiken akzeptabel sind und welche nicht. Am Beispiel von Alan Kurdi kann sich an der Stelle jede*r einmal selber fragen, wie sie*er dazu steht, dass das Foto des ertrunkenen Jungen veröffentlicht wurde.

Ist es ein erschütterndes Dokument der Zeitgeschichte und zeigt in Gedenken grausame Missstände auf, oder ist es Voyeurismus und verdientes Geld am Tod eines Kindes? So schwer diese Antwort vielleicht sein mag, so ungern möchte ich sie selber beantworten, zumal es ein Interview mit dem Vater von Alan Kurdi gibt. Lassen wir daher doch einfach Abdullah Kurdi zu Wort kommen und seht selbst. 

Was für ein Fazit schließen wir daraus?

Wenn wir uns alle Punkte noch mal einzeln vor Augen führen, stellen wir unweigerlich fest, wie groß und kompliziert der gesamte Sachverhalt doch ist. Ein guter Anfang ist es, sich die verschiedenen Problemstellungen zu vergegenwärtigen und Verständnis aufzubringen. Bevor man Energie in eine ausgewachsene Empörung steckt, ist es gut investierte Zeit, vorher einmal die Hintergründe zu recherchieren. Gerade in unserer stark von Medien geprägten Zeit sollte man ohnehin nicht jeder Meldung vertrauen und sich schon gar nicht ausschließlich auf die Schlagzeile verlassen. Behaltet im Hinterkopf, dass auch immer eine Absicht hinter einem Artikel bzw. einem Text steht und fragt Euch, was diese sein könnte. Am wichtigsten ist zu guter Letzt, dass wir auch schwierigen Meinungen gegenüber tolerant sind und versuchen, wieder zu einer gesunden Diskussionskultur zurückzufinden.

Wenn es abschließend um die Frage geht, wie man als Fotograf versuchen kann, einen wertvollen Beitrag zu leisten, sehe ich den Fotojournalismus immer noch als große Chance. Es ist wichtig, sich über die möglichen Folgen bewusst zu sein, die sensible Themen mit sich bringen und stets den Kontext zu beachten, in dem man sich kultur- & fotohistorisch bewegt. Dabei ist es völlig okay, einen kritischen Umgang mit Medien zu haben und eine Berichterstattung auch mal zu hinterfragen. Hier kommen viele Eigenschaften zusammen, die einen guten Foto-Journalisten auszeichnen. Mit einem gesunden Gespür, viel Feingefühl und einem genordeten moralischen Kompass ist es möglich, in schlechten Zeiten auch etwas Gutes zu bewirken.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert