Es gehören immer zwei dazu – Die Geschichte eines Porträts

Es war der letzte Abend in der pakistanischen Stadt Skardu, bevor es nach Islamabad und von dort aus wieder nach Deutschland gehen sollte. Wir kamen erst am Abend davor mit den Jeeps zurück aus Askole und waren ziemlich erschöpft von den vergangenen Wochen. Trotzdem wollte ich den letzten Versuch wagen, einen Eindruck dieses umwerfenden Landes und der Menschen fotografisch festzuhalten. Nach 2 Wochen in den Bergen war die Neugierde riesig, noch mehr über Pakistan zu erfahren und tiefer in unbekannte Kulturen einzutauchen. Es kostet allerdings viel Überwindung, in einem so fremden Land einfach auf die Menschen zuzugehen, besonders mit dem Wunsch, sie zu fotografieren. So zog ich los mit der Kamera in der Hand und der Ungewissheit im Bauch, nichts ahnend, welch tiefgreifende, dauerhafte Prägung dieser Abend hinterlassen sollte.

Eine kühle Brise wehte den aufgewirbelten Staub der Fahrzeuge durch die Luft und hinterließ ein leichtes Knirschen auf den Zähnen. Die Luft war klar und die Umgebung in angenehmen, warmen Licht getaucht. Langsam hielt der Abend Einzug und in ein paar Stunden würde das Licht gemeinsam mit der Sonne hinter dem Horizont verschwunden sein. Dieses kleine Zeitfenster war allerdings das letzte, woran ich dachte, als ich geradewegs auf eine Gruppe junger Pakistani zusteuerte. Ich begrüßte sie mit einem freundlichem as-salāmu ʿalaikum, was mit einem wa-ʿalaikumu s-salām erwidert wurde. 

Als nicht Muslim mit as-salāmu ʿalaikum zu grüßen, kann stellenweise etwas schwierig sein. Manchmal bekommt man nur ein knappes wa- ʿalaikum zurück, je nachdem wie konservativ die Person ist. Glücklicherweise war die Gruppe sehr aufgeschlossen und neugierig. Hinzu kommt, dass viele Pakistani fabelhaft englisch sprechen. Sie erklärten mir, ich solle im Zweifelsfall lieber Merhaba sagen, da es mitunter unangenehm für mein Gegenüber sein könnte. Die Sunna des Propheten Mohammed untersagt in einer klaren Regelung, die Begrüßungsformel Nicht-Muslimen gegenüber zu erwidern. Bei jüngeren Leuten sei das allerdings kein Problem.

Ich kam mir ziemlich blöd vor, wollte ich die Menschen doch nur respektvoll begrüßen. So was erfährt man wohl nur im direkten Gespräch, dementsprechend dankbar war ich über diese hilfreiche Information. Es dauerte nicht lange, bis sie mich auf meine Kamera ansprachen und darum baten, ein Foto von ihnen zu schießen. Klar, nur zu gerne! Einen kurzen Augenblick später war das Foto im Kasten. Wir verabschiedeten uns herzlich und beflügelt von dieser Erfahrung setzte ich mein Abenteuer fort. Tatsächlich war es überhaupt nicht schwierig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, da sie von selbst neugierig an einen herantreten und sich über das Interesse für sie und ihr Land freuen. 

Vor mir standen gerade 5 junge Pakistani in Pose, während mir plötzlich jemand vorsichtig von hinten auf die Schulter tippte. Als ich mich umdrehte, sah ich vor mir einen älteren Mann mit einem breiten Lächeln im Gesicht. Seine Augen sahen aus, als hätten sie die gesamte Menschheitsgeschichte mitverfolgt und sein Blick schien bis tief in meine Seele vorzudringen. Von der ersten Sekunde an war ich wie gefesselt, denn sein Blick hatte gleichzeitig etwas unheimlich Liebevolles. Zutiefst bewegt von seiner Erscheinung brauchte ich einen kurzen Augenblick, um zu verstehen, dass er darum bat, ein Foto von ihm zu schießen. 

Er stellte sich in Position und schaute erwartungsvoll zu mir herüber, während die Falten in seinem Gesicht Dutzende Geschichten über das Leben selbst erzählten. Zum ersten Mal in meinem Leben konnte ich ein Foto so richtig fühlen und es war, als hätte mein Gegenüber den Auslöser im richtigen Augenblick ferngesteuert. Als ich durch den Sucher blickte, verschwand die Welt um mich herum und es gab nur noch den Moment. Die Kamera löste nur einmal aus. Klick! Auf dem Kameradisplay erschien das Foto und ich war nur noch sprachlos. Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado sagte mal:

„Ein Portrait macht man nicht einfach. Jemand anderes schenkt es dir“

Portrait eines älteren Mannes in Skardu – Pakistan (anklicken für größere Ansicht)

Beim Anblick dieses Fotos habe ich jedes Mal das Gefühl, als hätten sich die Emotionen dieses besonderen Augenblicks auf das Bild übertragen und ich konnte zu 100 % verstehen, was Salgado damit gemeint hat. Während des Abends sind mir zahlreiche Menschen begegnet, die mich zu sich eingeladen haben oder herzlich neugierig das Gespräch suchten. Mit solch persönlichen und tiefgehenden Begegnungen hätte ich niemals gerechnet. Leider dachte ich nicht daran, die Namen der Leute aufzuschreiben, geschweige denn, sie nach ihren Geschichten zu fragen. Aus diesem Grund ist neben der Erinnerung alles, was von diesem Augenblick bleibt, der brennende Wunsch, zukünftig nicht nur Fotos zu schießen, sondern auch die Geschichten hinter den Menschen kennenzulernen– und natürlich die zahlreichen Portraits, die mir an diesem Tag geschenkt wurden.

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